
Eine interdisziplinäre Widerlegung aus theologischer, rechtlicher und wirtschaftsethischer Perspektive
Im Rahmen der Weltsynode GC25 in St. Louis fand ein Austausch mit ehemaligen Teilnehmenden meiner Führungsseminare statt. Dabei reflektierten wir die Veränderungen des Leitbilds von Pastorinnen und Pastoren in den letzten 30 Jahren sowie deren Auswirkungen auf die Evangeliumsverkündigung im deutschsprachigen Raum. Die Analyse ergab einen Wandel von einem geistlichen zu einem unternehmerischen Führungsverständnis. Pastorinnen und Pastoren sollen demnach selbstständiges Unternehmertum ausüben, wofür sie jedoch weder eine Ausbildung noch eine Berufung haben. Gleichzeitig treten Vorgesetzte von ihrer Fürsorgepflicht zurück. Dies kann bei den Mitarbeitenden zu tiefer körperlicher, emotionaler und geistiger Erschöpfung führen.
Im Sinne der Lesbarkeit und in Anlehnung an etablierte wissenschaftliche Konventionen verwende ich im folgenden Text das generische Maskulinum. Es versteht sich, dass alle Geschlechter gleichermaßen gemeint sind. Ziel dieses Beitrags ist es, die These vom Pastor als Unternehmer interdisziplinär zu hinterfragen und zurückzuweisen.
In der heutigen Gesellschaft, die von Effizienz, Managementmodellen und Marktlogik geprägt ist, wird zunehmend versucht, auch geistliche Berufsbilder ökonomischen Kategorien zu unterwerfen. So gewinnt etwa die These, der Pastor sei ein Unternehmer, an Verbreitung. Auf den ersten Blick erscheint dies plausibel, denn Pastoren leiten Organisationen, verwalten Ressourcen, managen Personal und entwickeln strategische Konzepte. Diese Perspektive ist jedoch unvollständig und widerspricht dem rechtlichen Status, dem Selbstverständnis sowie der theologischen Begründung des pastoralen Amtes.
Das kirchliche Amt im säkularen Rechtsrahmen
In Deutschland regelt das Grundgesetz (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 WRV) das Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Es sichert den (Frei-)Kirchen Selbstverwaltung und innere Ordnung, einschließlich der Ämterstruktur. Das pastorale Amt unterliegt dem kirchlichen Dienstrecht, das einen Autonomiebereich bildet und nicht dem allgemeinen Arbeits- oder Wirtschaftsrecht untersteht. Das Bundesarbeitsgericht hat festgestellt, dass das pastorale Amt kein „Arbeitsverhältnis“ im klassischen Sinne darstellt, sondern durch eine besondere Dienstgemeinschaft konstituiert ist (vgl. BAG, Urteil v. 20.02.2002 – 5 AZR 296/01). Pastoren agieren in Ausübung eines öffentlichen kirchlichen Dienstes und nicht als private Unternehmer. Das Steuerrecht klassifiziert pastorale Tätigkeiten nicht als „unternehmerisch“ (§ 2 UStG).
Der Unternehmerbegriff im ökonomischen Diskurs
Im wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs wird der Unternehmer (Entrepreneur) klassischerweise als Träger von Risiko und Innovation beschrieben (vgl. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1911). Unternehmer agieren marktwirtschaftlich, ihr Handeln orientiert sich an Gewinn, Wettbewerbsfähigkeit und Skalierbarkeit. Diese Kriterien sind auf das pastorale Amt jedoch nicht übertragbar. Pastoren unterliegen keinem marktwirtschaftlichen Wettbewerb und verfolgen kein Gewinnziel. Die Finanzierung kirchlicher Arbeit basiert primär auf kollektiven Solidarmodellen wie der Kirchensteuer, dem Zehnten oder Spenden, nicht auf marktwirtschaftlichem Umsatz. Zudem ist die pastorale Tätigkeit nicht klassisch skalierbar oder delegierbar, da sie persönliche Präsenz und Beziehungsethik erfordert.
Berufung statt Betriebsführung
In der christlichen Tradition gründet das pastorale Amt nicht auf wirtschaftlicher Rationalität, sondern auf göttlicher Berufung und Sendung. Der Apostel Paulus bezeichnet das Amt als Dienst (diakonia) und nicht als Herrschaft oder Selbstverwirklichung (vgl. 2 Kor 4,5; Eph 4,11–12). Der Pastor agiert als Hirte, Lehrer und Seelsorger, eingebettet in ein Beziehungsgeflecht aus Gemeinde, Wort Gottes und göttlicher Gnade. Martin Luther lehnte die Vermischung von geistlichem und weltlichem Amt ab. In seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen” (1520) betont er, dass christlicher Dienst aus Liebe erfolgt, nicht aus Berechnung. Die Reformatoren lehnten eine Kommerzialisierung des Glaubens ab (vgl. Luther, WA 7, 50–51). Henri Nouwen bestätigt diese Sichtweise in „The Wounded Healer“ (1972), in dem er den pastoralen Dienst als heilende Präsenz in der Welt im Gegensatz zur unternehmerischen Erfolgslogik beschreibt.
Funktionaler Druck und Rollenerwartung
Pastoren in modernen, pluralistischen Gesellschaften stehen unter hohem Erwartungsdruck. Von ihnen wird erwartet, dass sie Führungspersönlichkeit, Visionär, Fundraiser, Konfliktmanager und theologischer Experte in einer Person sind. Der soziologische Begriff der „Rollenüberladung” (vgl. Luhmann, Funktion der Religion, 1977) beschreibt diese Überforderung durch multiple Fremdzuschreibungen zutreffend. Die Zuschreibung „Pastor als Unternehmer“ ist Ausdruck einer funktionalistischen Verkürzung. Sie entspricht nicht der Identität des Amtes, sondern entspringt externen Systemanforderungen. Sie projiziert neoliberale Managementideale auf geistliche Realitäten.
Was Leitung bedeutet – und was nicht
Auch wenn Pastoren Leitungsfunktionen wahrnehmen, übernehmen sie keine Unternehmerhaftung im zivilrechtlichen Sinne. Entscheidungen in kirchlichen Körperschaften unterliegen kollektiven Gremienstrukturen (z. B. Kirchenvorstand, Gemeinderat) und sind in der Regel durch Satzungen festgelegt, die pastorale Entscheidungsbefugnisse klar definieren und begrenzen. Die Verantwortung eines Pastors ist daher nicht unternehmerisch, sondern geistlich und seelsorgerisch motiviert. Führung geschieht im Sinne des Hirtendienstes (vgl. Joh 10,11–16), nicht der Marktdominanz. Der Mensch, nicht das Produkt, steht im Zentrum.
Das pastorale Amt entzieht sich dem Unternehmerparadigma
Die Bezeichnung „Pastor als Unternehmer” ist ein modernes Narrativ, das weder rechtlich noch wirtschaftlich oder theologisch haltbar ist. Es handelt sich um eine „Mär“ – ein kulturell erzeugtes Missverständnis –, das die spezifische Identität des geistlichen Dienstes verzerrt und gefährdet. Anstatt das pastorale Amt in die Logik der Ökonomie zu überführen, ist eine Rückbesinnung auf seinen eigentlichen Auftrag erforderlich: geistliche Leitung, seelsorgerische Begleitung, theologische Verkündigung und diakonische Verantwortung. Die Stärke des Pastors liegt nicht in unternehmerischem Denken, sondern im Vertrauen auf seine Berufung.
Literatur
- Bundesarbeitsgericht, Urteil v. 20.02.2002 – 5 AZR 296/01
- Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
- Luther, Martin: Freiheit eines Christenmenschen, WA 7
- Luhmann, Niklas: Funktion der Religion, Suhrkamp, 1977
- Nouwen, Henri: The Wounded Healer, Doubleday, 1972
- Schumpeter, Joseph: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1911
- Zweigert/Kötz: Einführung in die Rechtsvergleichung, 1996
- Weiß, Konrad: Pastorale Identität im Wandel, Vandenhoeck & Ruprecht, 2008
- Zollner, Hans: Pastorale Berufung und professionelle Kompetenz, Echter Verlag, 2011
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